7.23 Zwischen den Geschlechtern
Von Adelheid Müller-Lissner | © ZEIT ONLINE, Tagesspiegel 6.2.2009 - 14:52 Uhr
Von Geburt an sind sie teils Mann, teils Frau. Oft werden Zwitter als Kinder umoperiert, weil viele verunsichert auf sie reagieren. Doch Intersexuelle sind nicht krank
Ein Gemälde von Jan Gossaert, Anfang des 16. Jahrhunderts: Hermaphroditos wird von der Nymphe Salmakis umgarnt. Sie war ihm so verfallen, dass die Götter beide miteinander verschmolzen
© Jan Gossaert
Zu Beginn habe es "drei Geschlechter unter den Menschen" gegeben, erzählt Platon in seinem Gastmahl. Die "Mannfrau" sei jedoch von den Göttern in zwei Hälften getrennt worden, um ihr den Übermut zu nehmen. "Sehnsüchtiges Verlangen" nach der anderen Hälfte verzehre seither die Menschen. Hermaphroditen, benannt nach dem Sohn des Hermes und der Aphrodite, dessen Körper die Götter mit dem der Quellnymphe Salmakis für immer verschmolzen, haben im Mythos eine hervorgehobene Rolle, der "Zwitter" ist seit der Antike ein beliebtes Motiv der bildenden Kunst. Doch Menschen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind, verunsichern zugleich. "Sie verursachen eine Ambivalenz aus Angst und Faszination", weiß der Berliner Psychotherapeut Knut Werner-Rosen.
"Wenn nur für Mann oder Frau Platz ist auf dieser Welt, dann also nicht für mich", sagt der Journalist Ernst Bilke in Ulla Fröhlings Buch Leben zwischen den Geschlechtern. Bilke wurde mit einer Hypospadie geboren, einem ungewöhnlichen Verlauf der Harnröhre, die in diesem Fall nicht an der Spitze, sondern auf der Unterseite des Penis mündet. Verursacht wird das durch einen Mangel an männlichen Hormonen in einer sensiblen Phase zu Beginn der Schwangerschaft.
Bilke ist heute nach landläufiger Anschauung in der klassischen Männerrolle verankert. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Doch in seiner Kindheit gab es eine Phase, in der erwogen wurde, aus ihm ein Mädchen zu machen, operativ. "It’s easier to make a hole than building a pole", ("es ist leichter, ein Loch zu machen als eine Stange"), lautete damals die medizinische Anschauung. Bilke bezeichnet sich heute als "ein Wesen der dritten Art", er sieht sich als "vollkommenen Zwitter".
Die inneren Geschlechtsorgane und das äußere Erscheinungsbild passen nicht zusammen
Bei etwa einem von 5000 Neugeborenen ist eine eindeutige Geschlechtsbestimmung schwierig. International hat man sich unter Medizinern inzwischen darauf geeinigt, von "Disorders of Sex Development" zu sprechen, kurz DSD. Die Ursachen und Erscheinungsformen sind vielfältig. Intersexualität hat aber nichts mit Transsexualität zu tun, die Menschen mit ihrem biologisch eindeutigen Geschlecht unzufrieden sein lässt. Intersexuelle stecken nicht im "falschen" Körper, ihr Körper macht aber widersprüchliche Aussagen, jedenfalls aus Sicht einer binär organisierten Gesellschaft.
So kann es sein, dass das chromosomale Geschlecht, die inneren Geschlechtsorgane und das äußere Erscheinungsbild nicht zusammenpassen. Da gibt es "XY-Frauen" mit einem "männlichen" Y-Chromosom und dem Androgen Insensitivity Syndrom (AIS), deren Gewebe auf männliche Hormone nicht anspricht: Ihre äußeren Genitalien sind weiblich, dabei finden sich im Inneren Hoden, Nebenhoden und Samenstränge. Andere Kinder sehen aufgrund eines Enzym defekts, des 5-Alpha-Reduktasemangels, bei der Geburt wie Mädchen aus, entwickeln jedoch während der Pubertät männliche Genitalien. Ein solcher seltener Fall wird in dem Roman Middlesex von Jeffrey Eugenides beschrieben.
Weitaus am häufigsten ist das Adrenogenitale Syndrom (AGS), eine Störung der Tätigkeit der Nebennierenrinde. Wird AGS nicht behandelt, so führt es trotz weiblichem Chromosomensatz zur Vermännlichung der äußeren Geschlechtsorgane. Weil das AGS in vielen Fällen mit einem lebensgefährlichen Salzverlust verbunden ist, muss mit einer Kortisonersatztherapie behandelt werden.
81 Prozent der betroffenen Erwachsenen haben mindestens eine Operation hinter sich
Das ist aber die Ausnahme von der Regel, die für Kinderärzte heute lautet: DSD ist keine Krankheit, zumindest nicht per se. "Konflikte entstehen durch das Fehlen eines sozialen Raums, in dem Kinder mit DSD ihr Anderssein als normal erleben können", heißt es in den jüngst erschienenen ethischen Grundsätzen zum Umgang mit Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung, die eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus dem BMBF-geförderten Netzwerk DSD/ Intersexualität erarbeitet hat.
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